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Glaube als Chance

Reformationsgottesdienst mit Jazz und Chorälen, Interviews und einer Predigt von Henrike Tetz

In der bis auf den letzten Platz besetzten Kreuzeskirche hat die Evangelische Kirche in Essen am Mittwochabend einen beschwingten und berührenden Reformationsgottesdienst gefeiert. In ihrer Predigt sprach Oberkirchenrätin Henrike Tetz über die Chance, die der christliche Glaube den Menschen in der heutigen Zeit bietet.

„Der Glaube eröffnet neue Lebensperspektiven für jeden und jede einzelne von uns“, sagte die Theologin, die im Januar von der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Mitglied der Kirchenleitung gewählt worden ist. Er ermögliche den Menschen, ihre Fähigkeiten zu entfalten, ohne in den Würgegriff einer falsch verstandenen Selbstoptimierung zu geraten. „Es geht nicht darum, unsere Sehnsucht nach Vollkommenheit zu verurteilen. Die Frage ist, worin kommt sie zum Ziel. Die Antwort, die Martin Luther vor rund 500 Jahren bei seinem Bibelstudium fand, lautet: Allein Gott, allein der Lebendige ist vollkommen. Und alles Vollkommene im Unvollkommenen unseres Lebens geschieht in der Verbindung mit Gott, die wir Glauben nennen.“ Diese reformatorische Entdeckung habe das Leben Martin Luthers und das Leben vieler anderer grundlegend verändert – bis heute. „Denn im Glauben wird unsere Sehnsucht nach Vollkommenheit verwandelt in eine Hoffnung auf ein Optimum an Leben und Lebendigkeit. Und dieses Optimum ist das Leben mit Gott. Das ist das Größte, was es für uns Menschen gibt.“

Freiheit entstünde dadurch, „dass ich allen Ansprüchen dieser Welt soweit entrissen bin, dass sie letztlich keine Macht über mich haben“, erklärte Henrike Tetz. „Solche Freiheit entfaltet ihre Wirkung darin, dass sie die unzerstörbare und unverfügbare Würde jedes Menschen begründet. Das befreit von der Sorge, meinen eigenen Wert etablieren zu müssen, das entbindet von der Angst, dass andere besser sind, dass sie beliebter und geliebter sind. Das befreit mich von der Befürchtung, dass die sozialen Verwerfungen dieser oder irgendeiner Gesellschaft identisch wären mit dem, was Gott für mich will. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, weil er zu Gott gehört, weil er Gott gehört, und sonst niemandem. Das verändert meinen Blick auf mich selbst. Und das lässt mich auch meinen Nachbarn, meine Nachbarin mit neuen Augen sehen und sie mit Ehrfurcht betrachten.“

Eine besondere Relevanz für unsere Gesellschaft entfalte der Glaube daher vor allem dort, wo Menschen unwürdig behandelt würden, sagte die Leiterin der Bildungsabteilung im Landeskirchenamt weiter. Das zeige sich gegenwärtig auch in der Flut von Hassparolen: „Wutbürgerinnen und Wutbürger überschreiten Grenzen einer angemessenen politischen Auseinandersetzung. Aktivisten missachten im Einsatz für die Schöpfung ihre Mitmenschen. In dieser Situation können Christinnen und Christen mit ihrem Glauben zum Glücksfall für alle werden: Denn sie stehen für die gute Chance, dass die Würde jedes Menschen in den Blick kommt und geachtet wird.“

Dass unser Glaube diese lebensdienliche Wirkung entfaltet, sei unsere Hoffnung und auch unsere Aufgabe als Christen: Freiheit wächst da, wo Menschen Lebensgewissheit entwickeln. "Wenn sie das Zutrauen haben, dass es für sie eine gute Zukunft gibt, dass es auf sie ankommt. Als Kirche haben wir die Möglichkeit, hierfür Erfahrungsräume zu öffnen mit unseren Gottesdiensten, unseren musikalischen Schätzen, mit seelsorglicher Begleitung, mit Angeboten der Bildung, mit diakonischen Diensten, im öffentlichen Diskurs. Wer sich bei Gott unbedingt willkommen weiß, der kann auch für die Würde des anderen eintreten. Wer erlebt was Freiheit ist, wird sich und andere nicht knechten."

Zuvor hatten Pfarrer Johannes Brakensiek (Borbeck-Vogelheim) und Pfarrerin Hanna Jacobs (raumschiff.ruhr) mit drei jungen Menschen - Vikarin Charlotte Behr aus Königssteele, Marvin Meier und Alexander Schuhmann von der Evangelischen Jugend Essen - einen berührenden Dialog über ihren Glauben geführt: wie er langsam oder durch besondere Ereignisse wächst und beim Trauern hilft, einen Menschen nicht loslässt, auch Zweifel zulässt. Und wo er zu finden ist – nicht nur in den Kirchen, sondern mitten im Alltag, im Zuhause eines Menschen. Kirche muss offener sein, heraus auf die Straße und unter die Menschen. Da geht noch was!

Weitere Eindrücke des Abends: Eine Kreuzeskirche, die bis auf den letzten Stehplatz gefüllt war. Stimmungsvolle Choräle (Orgel: Thomas Rudolph) und belebender Jazz (Ensemble Blue Notes). Gebete, Fürbitten, Schweigen und Segen (Liturgie: Skriba Heinre Mausehund). Ein Abend der Begegnung mit Gesprächen und Musik; dazu Speisen aus dem Brückencafé des Evangelischen Studierendenzentrums und Getränke vom Church, dem Restaurant der Diakonie. Den Ausklang bildeten das schon traditionelle Gebet für die Stadt und der Segen zur Nacht. Ein herzliches Dankeschön allen Beteiligten!

Unser Titelbild zeigt von links nach rechts: Oberkirchenrätin Henrike Tetz (Predigt), Pfarrer Johannes Brakensiek und Pfarrerin Hanna Jacobs (Moderation der Interviews), Skriba Heiner Mausehund (Liturgie). Foto: Kirchenkreis Essen/Alexandra Roth

 

 

 

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