Logo Evangelische Kirche in Essen


Nachrichten

Das war der schrecklichste Morgen in meinem Leben

Ukrainerinnen berichteten über den Beginn des russischen Angriffs

Beim Ökumenischen Friedensgebet im Essener Dom berichteten vier junge Frauen aus der Ukraine in bewegenden Worten darüber, wie der Beginn des russischen Angriffs ihr Leben verändert hat. Zwei dieser Zeugnisse haben wir nachfolgend veröffentlicht. Wir danken Olga Tatarchenko und Marta Svystun für ihre Offenherzigkeit.

OLGA TATARCHENKO: DER SCHRECKLICHSTE MORGEN IN MEINEM LEBEN

Ich heiße Olga und ich komme aus der Ukraine, Kiew. Vor einem Jahr, um 7 Uhr früh in der Klinik, wo ich und mein 26 Tage alter Sohn in Behandlung waren, hat mich eine Krankenschwester geweckt mit den Worten: „Russland hat die Ukraine angegriffen, Kiew und andere Städte werden bombardiert, wir müssen in den Schutzbunker…“ Das war der schrecklichste Morgen in meinem Leben…

Davor habe ich mit meinen Freunden und Verwandten zahlreiche Male über einen möglichen Angriff Russlands gesprochen, aber wir sind immer zu dem Schluss gekommen, dass so etwas in der modernen, zivilisierten Welt nicht möglich ist. Ich kann das bis heute nicht glauben, ich möchte aufwachen und verstehen, dass es ein schrecklicher Traum war.

Am ersten Tag des russischen Angriffs habe ich meine Mama angerufen und sie gebeten, dass sie umgehend nach Hause fährt (sie arbeitet in einer Apotheke). Meine Mama hat mir gesagt, dass ich Unsinn rede und dass dort eine lange Schlange von Kunden steht, die alle Medikamente brauchen und dass sie ihnen helfen muss.

Bereits am nächsten Tag ist keiner der Apothekenmitarbeiter zur Arbeit gekommen, es war schwierig Medikamente zu kaufen, das Leben ist fast stehengeblieben… In den ersten Kriegsmonaten waren die Regale in den Supermärkten leer, es gab ein Defizit an fast allen Waren.

Die Geschäfte waren nur an drei bis vier Stunden am Tag geöffnet, aber sie waren geöffnet! In diesen Tagen haben die Verkäufer, die Fahrer und viele andere (von Ärzten, Freiwilligen und Militär ganz zu schweigen) weitergearbeitet, um den Leuten zu helfen und sie mit dem Nötigen zu versorgen.

Am 24. Februar haben sich die Ukrainer vereinigt wie noch nie! Alle hatten Angst und es war schwer, aber vom ersten Tag an haben alle geglaubt, dass wir siegen werden, die Ukraine ist unser Zuhause und wir werden es verteidigen!

In der Zeit vom 24. Februar bis zum 30. Dezember gab es in Kiew 638 Luftalarme mit einer Gesamtdauer von 693 Stunden und 49 Minuten, also fast 29 Tage, fast einen Monat haben die Kiewer in den Schutzbunkern und -Räumen verbracht. Während der Luftalarme habe ich mich mit meinem Sohn auf dem Boden im Badezimmer versteckt, weil es keinen Schutzbunker in der Nähe gab. Während ich dort saß und wusste, dass Russland 83 Raketen auf die Ukraine schoss, war ich grenzenlos verzweifelt und habe mich gefragt: Wofür? Dafür, dass wir unser Land lieben? Dafür, dass wir frei sein wollen? Früher, wenn ich gehört hätte, dass jemand einen Plan für den Fall des Nuklearangriffs hat, hätte ich gedacht, dass die Person nicht ganz bei sich ist. Jetzt bin ich selbst eine Person, die so einen Plan hat.

Können Sie sich vorstellen, wie man zuhause einige Tage ohne Strom, ohne Wasser und jegliche Telefonverbindung leben kann? Und wenn es dabei draußen dunkel und kalt ist? Wenn du dein Mobiltelefon nur als Taschenlampe nutzen kannst (solange der Akku noch geht), weil die mobilen Netzwerke nicht funktionieren? Mein Sohn und ich haben drei Tage ohne Strom, zwei Tage ohne Telefon- und Internetverbindung und einen Tag ohne Wasserversorgung gelebt. Solche Erfahrungen haben alle gemacht, die in der Ukraine leben, und sie wiederholen sich nach jedem russischen Raketenangriff.

Es gibt Städte, die monatelang ohne zentrale Wasser- und Stromversorgung, ohne Heizung leben, weil sie zu nah and der Frontlinie liegen. Es gibt Kinder, die mehr Zeit in diesem Jahr in Schutzbunkern als in der Schulklasse oder an der frischen Luft verbracht haben. Aber wir Ukrainer geben nicht auf. Wie Waleri Salushny (Befehlshaber der Streitkräfte der Ukraine) gesagt hat: „Wir alle haben es schwer, sehr schwer. Aber wir werden uns niemals schämen!“

Ich liebe mein Vaterland, ich bin stolz, Ukrainerin zu sein, ich bin von meinen Landsleuten begeistert und ich bin grenzenlos dankbar an alle, die die Ukraine verteidigen und ihr helfen! Ich bin Deutschland dankbar, das ein vorläufiges Zuhause für mich und meinen Sohn geworden ist. Ich danke allen nicht gleichgültigen Menschen, die den Flüchtlingen helfen. Ich danke der deutschen Gesellschaft und Regierung für die Unterstützung des ukrainischen Volkes! Slava Ukraini! / Ruhm der Ukraine!

MARTA SVYSTUN: A YEAR OF WAR IN MY COUNTRY. WHAT IT MEANS TO ME

My daughter and I arrived in Essen from Kyiv in the early spring of 2022 – along with hundreds of thousands of other Ukrainians across Germany and several million Ukrainians around the world.

I have to admit, I don’t like the word refugee. Because here in Germany I do not feel like a refugee. I feel like a guest of very good friends who have given me shelter in my difficult time. In Essen, in Werden, where we live, we met extraordinary people who care not only about Ukrainians, but also about their community, their city, about saving the environment and a good climate. And the experience of communicating with these people taught me how important it is to be responsible, to be indifferent and to do the right thing. And I will definitely use this experience when I return to Ukraine.

My dream is to live in a happy, free and independent Ukraine. I believe that it will definitely come true. Yes, over the past year we have felt the terrible price of our freedom and independence. But we also proved to the whole world what values we are ready to fight for to the end. Ukrainians are now defending not only their freedom!

Yes, Ukraine was unlucky with its northern neighbor, who decided to destroy our state, nation, and European values. However, the last year has shown what wonderful neighbors we have in Europe and around the world! We are very grateful to all of Ukraine’s partners for your support – military, economic, and humanitarian! We wish you only one thing: do not get tired, do not stop helping Ukraine! We can stop Putin only together! Stand with Ukraine! Give us weapons, help us drive the occupiers out of Ukrainian land. And then we will be able to prove to you that we can not only fight – we, Ukrainians, are also very hardworking, we are inventive, we are hospitable.

I really want to come home – to my family, to my friends. I want to use all the experience I gained in Germany to rebuild my homeland after the war. I believe that after the Victory, Ukraine will be different, because freedom means doing the right thing based on your values. I believe that Ukraine will be a worthy and full-fledged part of the United Europe. On behalf of all Ukrainians, I express my gratitude to the government and people of Germany, the city authorities and the people of Essen for your support of Ukraine.

Stand with Ukraine! Just don’t get tired, don’t stop helping! Glory to Ukraine! Glory to Jesus Christ!

Titelbild: Beim Ökumenischen Friedensgebet sprachen vier ukrainische Frauen über den Kriegsbeginn aus ihren individuellen Perspektiven - darunter Olga Tatarchenko (li.) und Marta Svystun (re.). Superintendentin Marion Greve (r.v.re.) moderierte ihren Vortrag. Oberbürgermeister Thomas Kufen (2.v.re.) begrüßte die Mitwirkenden im Essener Dom; später sprach er eine Fürbitte. Foto: Kirchenkreis Essen/Alexandra Roth.

 

 

 

nach oben ▲