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In Essen entsteht ein Segensbüro

Neues Angebot startet am 1. August im Untergeschoss der Marktkirche

„Von der Wiege bis zur Bahre“ – jahrhundertelang war es selbstverständlich, dass Menschen Lebensübergänge mit einem von der Kirche geprägten Ritual feierten. Das Kind wurde getauft, die Schwelle zum Erwachsenenleben mit der Konfirmation begangen, die kirchliche Trauung war die gefeierte Eheschließung und die Beerdigung führte die Pfarrperson durch. Das ändert sich gerade: immer mehr Menschen, auch Kirchenmitglieder, entscheiden sich in besonderen Lebensmomenten für andere Dienstleister*innen. Besonders bei jüngeren Menschen verändert sich der Bezug zur Parochie (Ortsgemeinde) und so der selbstverständliche Zugang zur sogenannten Kasualbegleitung.

Doch obwohl nur ein kleiner Teil der Gemeindeglieder Gottesdienste besucht, wünschen sich viele Menschen an den Naht- und Wendepunkten des Lebens den Zuspruch der Kirche. Das ist eine große Chance, denn in diesen Momenten sind sie berührbar und das Evangelium kann in ihre Lebenssituation hineinsprechen. Gerade in den Kasualien erwarten sie Gottes Segen und die Seelsorge. Das „Segensbüro“ (Arbeitstitel), das von der Evangelischen Kirche im Rheinland fünf Jahre lang als innovativer Erprobungsraum gefördert wird, will diese Chance nutzen. Ausgestattet wurde das kirchliche Start-up mit zwei Pfarrstellen im Umfang von insgesamt 150 Prozent und einer weiteren halben Stelle für Öffentlichkeitsarbeit. Beheimatet ist das innovative Angebot in den Schaufensterbüros im Untergeschoss der Marktkirche. Der Start ist für den 1. August geplant.

Mit Eva Gabra und Juliane Gayk konnten zwei erfahrene Krankenhausseelsorgerinnen für diese Aufgabe gewonnen werden. Wir haben mit ihnen und mit der Essener Superintendentin Marion Greve über ihre Ziele und Hoffnungen gesprochen:

WAS SOLL ICH MIR UNTER DEM NEUEN ANGEBOT VORSTELLEN? KANN ICH BEI IHNEN EINEN SEGEN "BESTELLEN", DER FÜR MICH UND MEIN INDIVIDUELLES BEDÜRFNIS "MAßGESCHNEIDERT" IST?

Juliane Gayk: Genauso!!! Aber immer im Namen des Dreieinigen Gottes und mit Neugier auf den Menschen, dem dieser Segen offensichtlich wichtig ist.

ANDERS GEFRAGT: WAS ERHALTE ICH IN EINEM "BÜRO FÜR SEGEN", WAS ICH IN MEINER ORTSGEMEINDE ODER BEI EINEM UNSERER GEMEINDEÜBERGREIFENDEN DIENSTE BISLANG NICHT ODER NICHT IN DIESER FORM ERHALTE?

Eva Gabra: Uns geht es nicht um ein alternatives Angebot. Unser Ziel ist es vielmehr, diese bestehenden Orte besser miteinander zu vernetzen und bei schwindenden Ressourcen das Angebot für eine "segenreiche Begleitung" breiter aufzustellen.

Juliane Gayk: Gleichzeitig ermöglichen wir den Menschen, die den Zugang zu Ortsgemeinden oder unseren Gemeindeübergreifenden Diensten nicht haben, dadurch eine leichtere Orientierung.

BEI EINER TAUFE ODER HOCHZEIT GIBT ES NORMALERWEISE VORGABEN FÜR DIE FORM UND DEN ABLAUF. KANN ICH DAS ALLES SELBST BESTIMMEN, WENN ICH MICH NICHT AN DIE ORTSGEMEINDE, SONDERN AN DAS "BÜRO FÜR SEGEN" WENDE? ODER GEMEINSAM MIT IHNEN EIN GANZ NEUES RITUAL FÜR MICH "ERFINDEN"?

Eva Gabra: Ja, das ist möglich, aber sehr gerne mit der Ortsgemeinde gemeinsam. Wobei ein Sakrament wie die Taufe natürlich die Taufe bleibt. Wenn daraus etwas anderes entsteht, wie z.B. eine Kindersegnung, ist es auch etwas anderes. Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, neue Worte und Ausdrucksformen für die Traditionen zu finden, die wir schätzen.

KANN ICH IHRE ANGEBOTE AUCH DANN IN ANSPRUCH NEHMEN, WENN ICH AUS DER EVANGELISCHEN KIRCHE AUSGETRETEN BIN? ODER DER KATHOLISCHEN KIRCHE ANGEHÖRE?

Eva Gabra: Unsere Grundhaltung ist: Wir hören uns die Wünsche aller Menschen an und schauen dann darauf, was möglich ist und warum es gewünscht wird.

Juliane Gayk: In Absprache mit den kirchenleitenden Organen muss dieser Bereich, der bereits in Kirche und in der Gesellschaft diskutiert wird, intensiv betrachtet werden. Wir können uns vorstellen, neue Möglichkeiten auszuloten, zu erproben und zu evaluieren. Denn wir sind in den nächsten fünf Jahren Erprobungsraum der EKiR, der Evangelischen Kirche im Rheinland.

WAS HABEN DIE ORTSGEMEINDEN VON DIESEM ANGEBOT, WELCHEN KONKRETEN GEWINN FÜR DIE EIGENE ARBEIT DÜRFEN SIE DURCH DIE GRÜNDUNG DES "BÜROS FÜR SEGEN" ERWARTEN?

Eva Gabra: Genau das möchten wir von den Gemeinden und kirchlichen Orten in Essen erfahren: Was können wir für EUCH tun?

Juliane Gayk: Von unserer Seite aus wollen wir ein „Türöffner“ für Menschen sein, die den Weg nicht in die Gemeinde finden. Zudem bieten wir den Gemeinden Beratung, Unterstützung und Material bei den vielen unterschiedlichen Kasualien und Bedürfnissen an.

WELCHE KONKRETEN HINWEISE HABEN SIE, DASS MENSCHEN SICH AUCH IN ANDEREN BESONDEREN LEBENSSITUATIONEN ÜBER EINEN SEGEN FREUEN?

Juliane Gayk: Wir erleben immer mehr, dass Menschen an Lebensschwellen das Angebot des Segens dankbar annehmen. Segnungen bei Einschulungen und Schulabschlüssenn sind da schon ein erprobtes Beispiel. Auch an schwierigen Lebensschwellen, wie Verlust oder Trennungserfahrungen, fragen die Menschen nach Riten.

Eva Gabra: Unsere ökumenischen Segensfeiern für werdende Eltern und für Eltern mit kleinen Babys, die zusammen mit dem Bistum Essen entwickelt wurden, sind ein Erfolgsmodell und werden mittlerweile in einer ganzen Reihe von anderen Kirchenkreisen und Bistümern angeboten. Das ökumenische Angebot „Raum für Risse“, das wir in den Corona-Jahren gestartet haben, ist gut angenommen worden. Zudem fällt uns auf, dass an Lebenspunkten auch außerhalb von Kirche immer häufiger nach Segen und rituellen Handlungen gefragt wird oder nach einer Begleitung durch eine Doula, einen Trauredner, eine Traurednerin.

IN ESSEN STELLEN DIE MITGLIEDER DER BEIDEN GROßEN CHRISTLICHEN KIRCHEN SEIT EINIGEN MONATEN NICHT MEHR DIE MEHRHEIT AN DER BEVÖLKERUNG. KANN DAS "BÜRO FÜR SEGEN" DAZU BEITRAGEN, DASS SICH DER TREND DER „ENTCHRISTLICHUNG“ BZW. „SÄKULARISIERUNG“ WIEDER UMKEHRT ODER ZUMINDEST ABGEMILDERT WIRD?

Marion Greve: Dass ein neues Angebot einen Gesamttrend umkehren kann, diese Erwartung finde ich zu hoch. Wir schauen mit dem Segensbüro auf die Zahl der rund 125.000 evangelischen Kirchenmitglieder in Essen. Ein Ziel ist es, dass möglichst viele dieser Kirchenmitglieder Zugang zu Kasualien bekommen, und wir so die Anzahl von Kasualien steigern. Wir zeigen, dass wir Profis sind bei Taufen, Trauungen, Beerdigungen und dass wir sie attraktiv gestalten.

Juliana Gayk: In erster Linie haben wir unsere Mitglieder im Blick, für die wir immer schwieriger erreichbar sind und die auch wir immer schlechter erreichen.

Eva Gabra: Umkehren werden wir den Trend sicher nicht, vor allem alleine nicht. Aber wir wollen uns diesen Trend schon entgegenstellen. Wir wollen in die Breite Gesellschaft ausstrahlen, dass wir ein relevante Lebensbegleiterin in den unterschiedlichen Lebenslagen sind. Denn wir haben, auch als kleiner werdende Kirche, etwas ganz Wunderbares, das wir mit den Menschen teilen wollen. Das ist der Auftrag unserer Kirche, dem wir entsprechen und wir über die Grenzen einer bloßen Mitgliedschaft und aller Trends hinweg sichtbar machen wollen.

Marion Greve: Gleichzeitig sollen nach dem Vorbild der Segensfeiern für werdenden Mütter auch neue Kasualien entwickelt werden. Wenn wir serviceorientierter arbeiten und gut erreichbar sind – besonders für die vielen Menschen, die ihren Gemeindepfarrer, ihre Gemeindepfarrerin nicht mehr kennen – werden wir sicherlich die Zahl der Kasualien sowohl bei Mitgliedern steigern können. Bei diesem Projekt geht es um Mitgliederbindung – eine gute Basis gegen Säkularisierung und Entchristlichung.

AUF WELCHE WEISE, MIT WELCHEN MEDIEN WOLLEN SIE DIE ZIELGRUPPE ERREICHEN UND ÜBER DAS NEUE ANGEBOT INFORMIEREN? GIBT ES DAZU EVTL. SCHON ERSTE IDEEN?

Eva Gabra: Unser Ziel ist es, in der digitalen Welt präsent zu sein – das heißt, mit einer guten Auffindbarkeit in den Suchmaschinen und auf Social Media-Kanälen. Dafür suchen wir zurzeit ein weiteres Teammitglied, mit der wir eine gezielte Strategie für diesen Bereich entwickeln werden.

WIE MESSEN SIE, OB DAS NEUE ANGEBOT ERFOLGREICH IST?

Marion Greve: Für mich ist das Projekt erfolgreich, wenn wir die Kasualien stärker in den Mittelpunkt unseres kirchlichen Handelns rücken – denn mit jeder Kasualie erzählen wir intensiv von Gottes Segen und dem Geschenk seiner Liebe. Wenn wir die vor uns liegenden fünf Jahre des Erprobungsraumes nutzen, um auch neue Kasualien zu entwickeln.

Juliane Gayk: Es werden noch konkrete Evaluationskriterien entwickelt, an denen der Erfolg des Erprobungsraums unter anderem gemessen werden kann.

Marion Greve: Der Erfolg ist da, wenn wir unsere Pfarrerinnen und Pfarrer, Prädikantinnen und Praktikanten und ordinierte Mitarbeitenden befähigen, Kasualien anzubieten, die sich stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientieren als bisher – beispielsweise durch flexible Zeiten außerhalb des Sonntagsgottesdienstes und neuen Orten. Und wenn wir zu einer neuen Haltung finden, indem viele Verantwortliche und Presbyterien sich mit der Kasualpraxis in ihrer Gemeinde auseinandersetzen, etwa durch Fortbildungen.

GIBT ES FAKTOREN, DIE SIE BESONDERS ZUVERSICHTLICH STIMMEN, DASS DAS „BÜRO FÜR SEGEN“ IM KIRCHENKREIS ESSEN EIN ERFOLG SEIN WIRD?

Marion Greve: Ein entscheidender Faktor sind die Menschen. Ich bin zuversichtlich, weil wir bereits zwei wunderbare Theologinnen gefunden haben, die das Segensbüro im Team mit einer Person für die Öffentlichkeitsarbeit leiten werden: sie bringen in hohem Maße Kompetenz und Sensibilität für neue Wege in der Kirche mit! Ein weiterer Faktor sind meine eigenen Gespräche mit Menschen, die sich keiner speziellen Gemeinde zugehörig fühlen, jedoch „Segensräume“ suchen.

Eva Gabra: Einerseits machen uns die Erfahrungen von Büros für Segen an anderen Orten Mut – ähnliche Angebote gibt es seit kurzem in Berlin, Hamburg, Lübeck, usw. Andererseits nehmen wir vielfältig wahr, dass Menschen nach spirituellen Angeboten suchen. Wir haben große Lust und viele Ideen, diese zu gestalten.

WO SEHEN SIE DAS NEUE ANGEBOT IN EINEM JAHR? WAS WOLLEN SIE BIS DAHIN ERREICHT HABEN?

Juliane Gayk: Wir träumen davon, dass sich das Angebot herumgesprochen hat, weil auch vielfältig, zum Beispiel im Radio, darüber berichtet wurde. Und dass wir unter den „TOP 3“ im Internet zu finden sind unter der Suche „Trauungen in Essen“.

Eva Gabra: Das Wichtigste ist sicher, dass wir wahrgenommen und angefragt werden, sowohl von den kirchlichen Orten als auch von den Menschen in unserer Stadt. Und natürlich, dass es zu der einen oder anderen schönen Segensfeier kommt, die es ansonsten vielleicht nicht gegeben hätte.

Unser Titelbild zeigt von li.n.re. die Essener Superintendentin Marion Greve, Pfarrerin Juliane Gayk und Pfarrerin Eva Gabra in der Marktkirche. Foto: Kirchenkreis Essen/Alexandra Roth.

 

 

 

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