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Entschlossener Einsatz gegen sexualisierte Gewalt

Prävention im Kirchenkreis Essen

(Essen, 27.01.2024) Am 25. Januar wurden die Ergebnisse der bundesweiten, breit angelegten Aufarbeitungsstudie „ForuM“ über sexualisierte Gewalt in Evangelischer Kirche und Diakonie im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie wir im Kirchenkreis Essen mit dem Thema Aufarbeitung und Prävention vor sexualisierter Gewalt umgehen und wo Betroffene Hilfe finden, was im Kirchenkreis heute über die Fallzahlen bekannt ist und was die Studie bedeutet:

DIE FORUM-STUDIE

„ForuM“ steht für „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie“. Im Unterschied zur katholischen MHG-Studie, die sich ausschließlich auf die Priesterinnen und Priester konzentriert, nimmt die ForuM-Studie außer den Pfarrpersonen auch die Diakonie als evangelische Einrichtung in den Blick

Die unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie ForuM bildet eine neue systematische Grundlage für unsere institutionelle Aufarbeitung – auf der Ebene von EKD, Landeskirchen, Kirchenkreisen, Gemeinden, Diensten und Einrichtungen. Sie hilft uns dabei, Zusammenhänge besser zu verstehen und Risiken zu minimieren.

Die ForuM-Studie ist ein Teil unseres entschlossenen Einsatzes gegen sexualisierte Gewalt. Sie ist ein wichtiger Schritt in einer Daueraufgabe, die sich aus unserem kirchlichen und diakonischen Auftrag ergibt, nämlich entschlossen und sorgfältig gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen.

Internet: forum-studie.de.

UNSERE HALTUNG

Jeder Mensch ist ein unverwechselbares, einmaliges Geschöpf Gottes. Beschenkt mit Würde und einer Fülle an Lebensmöglichkeiten. Wenn wir über Visionen, die Neuausrichtung und Wege in die Zukunft unserer Kirche nachdenken, dann tun wir das in der Hoffnung, dass uns die Gestaltung einer lebendigen, menschenfreundlichen Kirche gelingt, die Groß und Klein einen weiten Lebensraum öffnet.

Wir stellen uns aber auch der Verantwortung und dem Wissen, dass unser Kirchraum ein gefährlicher Ort sein kann, an dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene Gewalt erfahren, Macht missbraucht wird und Grenzen verletzt werden. Damit wir dem entschieden entgegentreten und den Menschen in unserer Kirche einen verlässlichen Schutzraum bieten können, braucht es einen achtsamen Blick füreinander.

-- Wir wollen aufmerksam sein!
-- Wir wollen sprach- und handlungsfähig werden, um uns selbst und andere zu schützen!

An allen unseren kirchlichen Orten – in der Kirche und im Gemeindehaus, in der Kindertagesstätte, dem Senior:innenheim und dem Jugendzentrum bis hin zum Verwaltungsamt – sollen Menschen jeden Alters unbeschwert und angstfrei zusammenkommen können. Dabei hilft uns die gemeinsame Arbeit an unserem „Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt“. Seine verschiedenen Bausteine bilden das Gerüst. Sie schaffen einen Raum, der von Respekt, Wertschätzung und Vertrauen geprägt ist.

UNSERE LEITLINIEN

Mit der Verabschiedung des Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt am 15. Januar 2020 ist an alle Kirchenkreise und Gemeinden in der Evangelischen Kirche im Rheinland der Auftrag ergangen, ihre eigenen Schutzmöglichkeiten gemeinsam mit den Haupt- und Ehrenamtlichen in den Blick zu nehmen, sie anhand festgelegter Kriterien zu entwickeln und zu beschreiben.

Auf der Grundlage dieses Auftrags hat eine Arbeitsgruppe des Kirchenkreises Essen Leitlinien zur Erstellung eines institutionellen Schutzkonzeptes zur Prävention sexualisierter Gewalt erarbeitet, die im Februar 2022 durch den Kreissynodalvorstand beschlossen und in Kraft gesetzt wurden. Anschließend wurden die Leitlinien in Form einer gedruckten Broschüre den Leitungen aller Kirchengemeinden, der Gemeindeübergreifenden Dienste und Einrichtungen des Kirchenkreises bekanntgegeben.

UNTERSTÜTZUNG FÜR BETROFFENE

Wir ermutigen Betroffene, sich zu melden, und unterstützen sie.

Wir gehen ihren Aussagen und allen Hinweisen auf Fälle sexualisierter Gewalt nach und versuchen sie zu validieren – ohne sie voreingenommen für wahr oder falsch zu halten.

Wir haben auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschuldigten; der Schutz der betroffenen Menschen steht aber vor dem Schutz der beschuldigten Personen.

Jeder Fall, der Minderjährige betrifft, wird zur Anzeige gebracht. Bei Volljährigen soll nach Möglichkeit der Wunsch der Betroffenen berücksichtigt werden.

Wir sehen den Schutz vor sexualisierter Gewalt als eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe an.

Wir bewegen uns im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung; es gibt kein kirchliches Sonderrecht.

WAS WIR IM KIRCHENKREIS ESSEN ZUR PRÄVENTION TUN

Wir setzen umfassende Präventions- und Schutzmaßnahmen um.

Der Arbeitskreis für Prävention des Kirchenkreises Essen hat dafür ein Rahmenschutzkonzept erarbeitet, das laufend weiterentwickelt und ggf. an aktuelle Standards angepasst wird.

Wir beschäftigen mit Lisa Maas eine hauptamtliche Beauftragte für Prävention.

Alle Kirchengemeinden haben Arbeitskreise für Prävention gebildet, die Potenzial- und Risikoanalysen durchführen und eigene Schutzkonzepte erarbeiten.

Wir bieten Schulungen an: Im Rahmen des Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt sind alle Mitarbeitenden der Evangelischen Kirche im Rheinland und somit auch im Kirchenkreis Essen dazu verpflichtet, an einer Fortbildung zur Prävention vor sexualisierter Gewalt und insbesondere zum Nähe- und Distanzverhalten sowie zur grenzachtenden Kommunikation teilzunehmen.

Im Jahr 2022 wurden daher 145 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für den Kirchenkreis oder in Kirchengemeinden tätig sind, durch unsere Beauftragte für Prävention geschult.

Daneben ist die Schulung der Ehrenamtlichen ein wichtiges Standbein der Präventionsarbeit. 25 der 26 Presbyterien unserer Kirchengemeinden haben die Schulung bereits durchlaufen – das sind etwa 250 ehrenamtliche Presbyterinnen und Presbyter. Im Laufe des Jahres 2023 wurden ferner weitere 135 Ehrenamtliche geschult, die in unseren Kirchengemeinden tätig sind. Die Schulungen werden laufend weitergeführt, um auch neue Ehrenamtliche in den Prozess mit hineinzunehmen.

Die Menschenstadt Essen, die Ökumenische Telefonseelsorge Essen und der Evangelische Kindertagesstättenverband Essen verfügen über Schutzkonzepte und führen regelmäßig Schulungen für ihre Haupt- und Ehrenamtlichen durch.

Die Evangelische Jugend Essen hat seit 2018 230 Ehrenamtliche und 40 Hauptamtliche geschult. 140 der insgesamt 270 Teilnehmenden haben ihre Schulung im Rahmen der Juleica-Ausbildung für Jugendliche erhalten, die Teamer in der Kinder- und Jugendarbeit werden wollen. Zudem haben seit 2018 insgesamt 370 Jugendliche im Alter von 14 bis 26 Jahren an regelmäßig angebotenen Sensibilisierungen zu verschiedenen Themenbereichen teilgenommen, etwa: Wieviel Nähe ist okay? Nähe und Distanz in der eigenen Rolle als Teamer:in reflektieren; Wer darf was bei mir? Angenehme und unangenehme Berührungen; Wie grenze ich mich ab, ohne ein Kind damit zu verletzen? Die „Ampel des grenzachtenden Umgangs“; Wertepyramide: „Was brauchen Kinder und Jugendliche für ihre gute Entwicklung?“ Die Evangelische Jugend Essen bietet seit 2014 Schulungen zum Thema an.

Prävention vor sexualisierter Gewalt ist Teil der Ausbildung „Lebensspuren begleiten“ für Ehrenamtliche in der Seelsorge.

Die erweiterten polizeilichen Führungszeugnisse aller Haupt- und Ehrenamtlichen, die für den Kirchenkreis oder in unseren Kirchengemeinden tätig sind, wurden eingesehen; dies wird im Abstand von fünf Jahren wiederholt.

ANSPRECHSTELLEN

Im Kirchenkreis Essen gibt es drei Vertrauenspersonen für Verdachtsfälle auf sexualisierte Gewalt und ein Interventionsteam, das bei konkreten Fällen tätig wird und kompetent besetzt ist.

Sowohl im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland als auch in der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe gibt es zentrale Meldestellen für begründete Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt. Auch die Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung in der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung bietet Betroffenen, deren Angehörigen und anderen Ratsuchenden vertrauliche Beratung an.

Außerdem können sich Betroffene von sexualisierter Gewalt an die – von Evangelischer Kirche und Diakonie unabhängige – zentrale bundesweite Anlaufstelle .help wenden: Telefon 0800 5040112, Mail zentrale@anlaufstelle.help, Internet anlaufstelle.help.

Wenn es um individuelle Anerkennungszahlungen geht, erhalten Betroffene Beratung bei der Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS) der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.

Alle Kontaktdaten der Evangelischen Kirche im Rheinland stehen auf der Seite ekir.de; Direktlink: ekir.de/inhalt/haeufig-gestellte-fragen-zum-umgang-mit-sexualisierter-gewalt-in-der-evangelischen-kirche-im-rheinland.

VERTRAUENSPERSONEN UND WEITERE ANSPRECHPERSONEN

Der Kirchenkreis Essen hat drei Personen zu sogenannten Vertrauenspersonen ernannt. Sie sind im Verdachtsfall als erste Ansprechpartner:innen sowohl für Betroffene als auch für Ratsuchende zuständig. Sie fungieren als sogenannte „Lots:innen im System“ und sind dafür zuständig, Ratsuchenden und Betroffenen zuzuhören und in einem gemeinsamen Gespräch herauszufinden, welches die nächsten Schritte sind. Sie sind innerhalb der Stadt Essen sowie mit Ansprechpartner:innen der Landeskirche gut vernetzt und verfügen über eine Ausbildung in Seelsorge.

Darüber hinaus sind die Vertrauenspersonen eng mit dem Interventionsteam des Kirchenkreises (siehe Interventionsplan in den „Leitlinien“) im Kontakt. Um einem Rollenkonflikt vorzubeugen, sind die Vertrauenspersonen nicht für die konkrete Fallbearbeitung zuständig.
In den Bereichen Menschenstadt Essen, Evangelischer Kindertagesstättenverband Essen und Evangelische Jugend Essen gibt es darüber hinaus weitere Ansprechpersonen.

Alle Kontaktdaten sind Teil der Leitlinien zur Erstellung eines institutionellen Schutzkonzeptes für den Kirchenkreis Essen und stehen auf der Homepage kirche-essen.de des Kirchenkreises.

FALLZAHLEN FÜR DIE EVANGELISCHE KIRCHE IM RHEINLAND

Durch die Ansprechstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung sind von 2011 bis 2023 zu dem Themenfeld 522 Beratungen erfolgt. Zehn Fälle betrafen den Kirchenkreis Essen (siehe unten).

Seit dem 1.1.2021 verpflichtet das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt alle beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden dazu, einen ihnen vorliegenden Verdacht auf sexualisierte Gewalt durch kirchliche Mitarbeiter (beruflich oder ehrenamtlich) oder auf einen Verstoß gegen das Abstinenzgebot der zentralen Meldestelle der Evangelischen Kirche im Rheinland mitzuteilen. Bis 2023 sind dort 76 Meldungen eingegangen, die sich zum Teil auch auf Jahre zurückliegende Vorfälle beziehen. Diese Fälle stammen aus Gemeinden, Kirchenkreisen oder der Landeskirche.

Für die ForuM-Studie wurden zuletzt bis Ende März 2023 alle Personal- und Disziplinarakten der rheinischen Kirche und der Diakonie RWL seit 1946 zur Ermittlung der Verdachtsfälle systematisch (und mit externer juristischer Begleitung) gesichtet. Dabei sind für den Bereich der rheinischen Kirche 70 Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt bekanntgeworden, die der ForuM-Studie zur Verfügung gestellt wurden. Es handelt sich um Pfarrpersonen und landeskirchliche Angestellte; in dieser Zahl sind keine ehrenamtlich oder beruflich Mitarbeitenden in Kirchenkreisen, Gemeinden und Einrichtungen enthalten.

Bis heute wurden durch die unabhängige Anerkennungskommission der Evangelischen Kirche im Rheinland in 29 Fällen finanzielle Leistungen bewilligt (insgesamt 415.000 Euro). Dazu kommen 131 Fälle in der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (insgesamt 1.960.000 Euro), bezogen auf das Gebiet der rheinischen Kirche.

FALLZAHLEN FÜR DEN KIRCHENKREIS ESSEN

Die Ansprechstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist von 2011 bis 2023 bei zehn Fällen beratend einbezogen worden, die den Kirchenkreis Essen betrafen. Bei den Beschuldigten handelte es sich um vier hauptamtlich Mitarbeitende, fünf Ehrenamtliche und einen Bewohner einer Behinderteneinrichtung.

In drei dieser Fälle wurde eine Strafanzeige erstattet – in zwei Fällen durch die Betroffenen, in einem Fall durch eine Kirchengemeinde des Kirchenkreises Essen. Alle drei Strafanzeigen betrafen Ehrenamtliche. In einem dieser Fälle wurde der Täter rechtskräftig verurteilt. Die beiden anderen Verfahren endeten mit Freisprüchen für den Beschuldigten.

Das Interventionsteam des Kirchenkreises Essen hat sich seit seiner Gründung 2022 mit sechs Verdachtsfällen beschäftigt, in denen es um eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ging. Ein Fall wurde an das landeskirchliche Interventionsteam abgegeben und wird dort weiter behandelt, weil die oder der Betroffene nicht im Kirchenkreis Essen tätig ist. In den übrigen Fällen musste nach den vorhandenen Leitlinien keine Anzeige erstattet werden.

Es ist uns nicht bekannt, ob die Sichtung aller Personal- und Disziplinarakten der rheinischen Kirche für die ForuM-Studie Hinweise auf Verdachtsfälle ergeben hat, die sich auf Pfarrpersonen beziehen, die im Kirchenkreis Essen tätig waren oder tätig sind.

Da die Quellenlage kompliziert und schwierig ist, kann eine Dunkelziffer grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Zudem konnten sich Betroffene auch direkt an die wissenschaftliche Projektleitung der ForuM-Studie wenden.

Über den Umgang mit der ForuM-Studie und die weitere Aufarbeitung entscheiden das bundesweite Beteiligungsforum und die regionalen Aufarbeitungskommissionen – in unserem Fall die Aufarbeitungskommission der Evangelischen Kirche im Rheinland.

 

 

 

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