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Die Seele zählt!

Theologin und Publizistin Johanna Haberer beim Neujahrsempfang

Mit ihrem traditionellen Neujahrsempfang hat die Evangelische Kirche in Essen am Freitag (01.12.) das neue Kirchenjahr begrüßt, das am 1. Advent beginnt. Zahlreiche Zuhörerinnen und Zuhörer aus Kirche und Kultur, Politik und Stadtverwaltung waren dazu in die Marktkirche gekommen. In ihrem Festvortrag „Die Seele zählt!“ warb die Theologin und Publizistin Johanna Haberer dafür, dieses „kleine Wort mit seiner großen Geschichte“ zu reanimieren. Gleichzeitig eröffneten Kirchenkreis und Kirchengemeinden an diesem Abend ihr neues, gemeinsames Jahresthema.

Mit ihrem traditionellen Neujahrsempfang hat die Evangelische Kirche in Essen am Freitag (01.12.) das neue Kirchenjahr begrüßt, das am 1. Advent beginnt. Zahlreiche Zuhörerinnen und Zuhörer aus Kirche und Kultur, Politik und Stadtverwaltung waren dazu in die Marktkirche gekommen. In ihrem Festvortrag „Die Seele zählt!“ warb die Theologin und Publizistin Johanna Haberer dafür, dieses „kleine Wort mit seiner großen Geschichte“, angesiedelt in den geistigen Gefilden der Religion, der Kultur und der Philosophie, zu „reanimieren“.

Zunächst nahm Johanna Haberer die Zuhörerinnen mit hinein in die über 2.500 Jahre lange währende Beschäftigung mit der Seele. Philosophen und Theologen hätten versucht, sich ihr aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern, Ärzte hätten ihr „materielles Gewicht“ auf das Gramm genau bestimmen wollen. Lange habe die Seele als Quelle von „Empfindsamkeit, Mitleid, Barmherzigkeit, Vergebung, Gewissen, Glaube, Liebe und Hoffnung“ gegolten. Dann aber hätte die aufkommende Dominanz der Neuro- und Kognitionswissenschaften das Vorhandensein einer „Seele“ grundsätzlich infrage gestellt, hätten auch die Lebenswissenschaften wie die Psychologie und zuletzt sogar die Theologie diesen Begriff fast gänzlich aus ihrem Sprachgebrauch getilgt, konstatierte Haberer.

Seit der Aufklärung gehe es daher bergab mit Begriff, die Seele werde mit dem Gehirn gleichgesetzt. „Und damit glauben Wissenschaftler, sie könnten sich das Wesen des Menschen gefügig machen, ihn als berechenbare Größe definieren, dessen chemisch-biologisch-physikalische Prozesse im Körper und Gehirn vorhersehbar und letztlich manipulierbar sind.“ Das Leben, Denken und Fühlen werde zum seelenlosen Baukasten.

ERLEBT DIE BESCHÄFTIGUNG MIT DER SEELE EINE RENAISSANCE?

Zuletzt aber habe sie wohltuende Anzeichen dafür bemerkt, dass die „Seele“ eine Renaissance erleben könne. Die Ursache dafür sei gerade der wissenschaftliche Fortschritt, der einerseits an seine Grenzen stoße: Selbst wenn Technik und Wissenschaft irgendwann in der Lage sein sollten, unsere inneren Bilder zu scannen und sichtbar zu machen, es werde doch immer ein Blick von außen sein, sagte Haberer.

Die Seele stehe stattdessen für alles, was einen Menschen innerlich bewege und anrühre, für das Unverwechselbare an jedem Individuum: eben den ganz „besonderen und einzigartigen Blick auf die Person und ihr Leben, durchwebt mit ihren Antriebskräften, Wünschen und Erfahrungen“. So ziehe auch die Wissenschaft heute eine Grenze zwischen dem, was messbar sei und jemals messbar sein werde, und dem, was „immer ein Geheimnis bleibe“. Wir versuchten einander mit Sprache, Gesten und Gebärden, mit Literatur, Bildern und Musik mitzuteilen, wie es um unser innerstes Seelenleben bestellt ist. „Zur Gänze wird uns das aber nie gelingen.“

Und nicht zuletzt werde der Begriff der Seele paradoxerweise gerade durch das aktuelle Aufkommen von Programmen der sogenannten Künstlichen Intelligenz in seiner Bedeutung gestärkt: „Wir vergleichen unsere Intelligenz gerne mit der künstlichen und schneiden dabei in der Regel schlecht ab. Die künstliche Intelligenz agiert schneller und effizienter und ist dabei weniger fehleranfällig.“ Das aber wiederum setze den Impuls, uns selbst zu fragen, was den Menschen von der Maschine unterscheide:

„Die Antwort führt zum Begriff der Seele zurück. Durch sie gelangen wir zu der Erkenntnis, dass wir kohlenstoffbetriebene Lebewesen einfach anders beschaffen sind als ein Computerprogramm. Wir sind zwar anfälliger für Fehler. Aber wir haben Intuition und Kreativität. Wir sind in der Lage, uns zu verändern und völlig Neues zu denken. Wir wissen, dass das Leben zwischen Ja oder Nein nicht aufgeht, und lassen uns bewegen und berühren von anderen Lebewesen. Wir jubeln und wir trauern und wir wachsen über uns hinaus – und das nur, weil wir eben beseelt sind!“

GRUSSWÖRTER ZUR SEELE DER STADT

Eingerahmt wurde der Vortrag durch das Grußwort des Oberbürgermeisters und eine kurze Reflexion von Anja Flicker, Direktorin der Essener Stadtbibliothek. Thomas Kufen nutzte die Gelegenheit, den Essener Kirchen für ihr Engagement bei der „Menschenkette für Weltoffenheit, Toleranz und ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt“ zu danken. In der Demonstration vor der Alten Synagoge Essen habe er die „wahre Seele unserer Stadt“ gespürt, sagte der Oberbürgermeister unter dem Applaus der Anwesenden.

In ihrem Statement zum Vortrag rief Anja Flicker dazu auf, die Innenstadt und ihre öffentlichen Plätze neu zu „beseelen“ – wozu auch die neue Stadtbibliothek, die 2025 in das große Gebäude der früheren Mayerschen Buchhandlung genau gegenüber der Marktkirche einziehen werde, einen Beitrag leisten wolle. Bildung und Begegnung, Freizeit und Gemeinschaft sollten hier einen neuen, offenen Ort mit großer Ausstrahlung in die Stadtgesellschaft hinein finden – dies könne aber nur gelingen, wenn viele andere Institutionen und Engagierte aus allen Schichten und Milieus sich daran beteiligten.

Für die musikalische Gestaltung des Neujahrsempfangs sorgten Markus Zaja mit Improvisationen auf dem Saxophon und Kreiskantor Thomas Rudolph, der das abschließende „Tochter Zion“ wie immer auf dem Klavier begleitete. Mit einem Empfang im Restaurant Church der Diakonie klang der Abend gesellig aus.

JAHRESTHEMA: DIE SEELE ZÄHLT!

Mit dem Neujahrsempfang haben Kirchenkreis und Kirchengemeinden ihr neues Jahresthema eröffnet, das ebenfalls unter dem Motto „Die Seele zählt!“ steht: Was gilt heute noch? Was ist verlässlich? Worauf kommt es im Leben wirklich an? Eine Veranstaltungsreihe begibt sich auf die Suche nach Antworten und lädt dazu ein, das „Seelenvolle“ wieder zu entdecken: ob an bestimmten Orten, in Stadtteilen oder in zwischenmenschlichen Beziehungen… Jan Vicari, Pfarrer für Citykirchenarbeit, und Ulf Steidel, Pfarrer in der Kirchengemeinde Altstadt, skizzierten die bisherigen Planungen anhand einer Broschüre, die Sie unter einem Link ganz unten auf dieser Seite als PDF-Datei finden.

ZUR PERSON: JOHANNA HABERER

Prof. em. Johanna Haberer ist Theologin und Journalistin. Von 1997 bis 2001 war sie Rundfunkbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2001 bis 2022 hatte sie eine Professur an der Abteilung „Christliche Publizistik“ der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne. Von 2002 bis 2006 sprach sie das Wort zum Sonntag im Ersten.

Johanna Haberer ist Mitglied des Bayerischen Ethikrates und Wissenschaftliche Leiterin der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie e. V. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zählten zuletzt: „Die Seele. Versuch einer Reanimation“ (2021); „Leben in der Anderswelt. Ein spiritueller Ratgeber durch das Netz“ (2019); „Digitale Theologie. Gott und die Medienrevolution der Gegenwart“ (2015).

Unser Titelbild zeigt v.li.n.re. Jürgen Schmidt, Stadtdechant des Katholischen Stadtdekanats Essen; Prof. em. Johanna Haberer; Marion Greve, Superintendentin des Kirchenkreises Essen; und Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen. Foto: Kirchenkreis Essen/Alexandra Roth.

 

 

 

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